Gedenkstättenbesuch Andreasstraße
von Michael Obenaus

Aus einem Besuch der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße, am 25. Oktober 2016 in Erfurt, entstand die folgende Reflexion einer Schülerin der SG Korsika. Das Gebäude diente in der DDR als Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit.
Tagebucheintrag von Martin Bätscher
Tag 7 (04. April 1972)
Genau eine Woche lebe ich nun schon in dieser Zelle. Die blassgelben Wände machen mich schon ganz verrückt. Diese Metallhochbetten sind eiskalt, da hilft auch die dünne Bettwäsche nichts. Auch meine viel zu große Kleidung hält mich nicht sonderlich warm und dazu habe ich auch großen Hunger. Das Essen hier ist schmutzig und besteht teilweise sogar aus kleinen Tierchen, wie ekelhaft das ist. Aber ich werde ja praktisch dazu gezwungen etwas zu essen. Letztens habe ich mitbekommen, wie mein Zellenpartner nicht essen wollte und dann völlig ausgerastet ist, bis er in die Arrestzelle kam. Ich habe schon viel von dieser Zelle gehört. Es soll wohl ein komplett schalldichter Raum sein, der dazu noch völlig leer ist. Die Toilette ist durch ein Gitter, welches verschlossen wird, abgetrennt, so dass man auf sich aufmerksam machen muss, wenn man mal muss (eine schreckliche Vorstellung), es macht mir alles große Angst! Am meisten fürchte ich mich, wenn das Auge des Aufsehers alle fünf bis acht Minuten in die Zelle starrt, das ist echt gruselig! Dazu bin ich auch noch komplett müde, da ich nicht wirklich zum Schlafen komme. Alle zwanzig Minuten kontrolliert eine Wache mit einer grellen Taschenlampenschein unsere Zelle, um zu schauen, ob wir richtig liegen. Wir müssen auf dem Rücken liegen und mit den Händen auf der Decke schlafen. Wenn wir dies nicht tun, werden wir aus dem Schlaf geschrien und gezwungen uns anders hinzulegen (schrecklich!).
Langsam bereue ich echt, versucht zu haben zu fliehen. Ich vermisse meine Familie, alle persönlichen Sachen wurden mir genommen. Ich habe allein meine Erinnerungen an sie. Ich hoffe diese Seiten werden eines Tages an die Öffentlichkeit kommen.
Tag 43 (17. Mai 1972)
Mittlerweile bin ich seit mehr als sechs Wochen hier. Jeden Tag sehe ich die gleichen vier Wände um mich herum. Gestern war Dusch-Tag, das heißt Zelle für Zelle geht duschen, in der Hoffnung warmes Wasser zu erwischen. Ich hatte gestern Glück und das hat echt mal gut getan. In dieser langen Zeit hier habe ich mich so gut wie an alles gewöhnt, inwiefern das hier gut sein kann. Ich finde es nun nicht mehr ganz so unangenehm die Toilette zu benutzen, wenn mir von meinen „Mitbewohnern“ dabei zugesehen wird. In den sechs Wochen habe ich auch so einiges gelernt, zum Beispiel das Klopf-ABC, mit dem man sich ganz heimlich mit den anderen Gefangenen in den Nachbarzellen unterhalten kann, oder auch mit dem „Zahnputzbecher-Lautsprecher-Trick“. Es ist immer spannend zu hören, warum die anderen hier sind, wer sie sind und woher sie kommen. Man erfährt auch immer alte Geschichten, so zum Beispiel über eine Frau, die für ihre große Liebe in den Westen fliehen wollte, aber dann abgefangen wurde und zu zwei Jahren und drei Monaten Haft wegen landesverräterischer Nachrichten Übermittlung verurteilt wurde. Was aus ihr geworden ist, weiß ich leider nicht. Manchmal frage ich mich, was aus mir wird, aber ich habe beschlossen stark zu bleiben und alle Hindernisse zu überwinden, um wieder zurück zu meiner Familie zu kommen.
(Autorin: Antonia Müller)